
News
Interview
Alex Mofa Gang: „Wir bewegen uns in seltsame Richtungen“
Michi und Sascha zur Entwicklung der Band und dem neuen Album.
VON
Kevin Postir
AM 07/10/2024
Geschätzte Lesezeit:
- Minuten
Artikel teilen:
Es ist kein Geheimnis, dass man sich als Band im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Zwar wünschen sich Fans der ersten Stunde immer wieder den Sound und die Texte der guten, alten Zeit zurück, doch seien wir einmal ehrlich: Es wäre doch sehr seltsam, wenn sich Musiker:innen persönlich im Laufe von Jahren und Jahrzehnten nicht weiterentwickeln würden. Und dass diese Weiterentwicklungen sich auch auf die Musik besagter Musiker:innen auswirkt, sollte ebenso erlaubt sein.
Die Herren von Alex Mofa Gang können mittlerweile auf eine nunmehr zwölfjährige Bandhistorie zurückblicken. Das fünfte Studioalbum „Euphorie Am Abgrund“ erscheint am 11. Oktober 2024 und ist mit seiner lyrischen Schwere ein gelungener Zeitpunkt, um mit der Gruppe auf ihre aktuelle Position als Band rund um das neue Album zu beleuchten.
Alex Mofa Gang: „So richtig gibt’s ja auch keinen Anlass für Heititei“
Denn eines merkt man beim Hören von „Euphorie Am Abgrund“ – es handelt sich um ein ernstes, nachdenkliches und reflektiertes Album.
Sascha: „Es war eine ganz bewusste Entscheidung, keinen Druck dahninter [dem lockeren Schreiben ohne den Gedanken an ein Album] zu haben. Und dann ging es aber relativ schnell, dass wir dabei waren, ein Album zu schreiben. […] Das Schreiben selber ging dann recht zügig.“
Doch was sind die Auslöser für ein so ernstes Album, das eher in Nuancen Hoffnung und Euphorie stiftet? Zugegebenermaßen haben Alex Mofa Gang auch in der Vergangenheit den Finger in die Wunde gelegt, gesellschaftliche und politische Missstände aufgezeigt, doch schwang auf vergangenen Veröffentlichungen stets ein großer Optimismus mit, welcher aktuell zu verblassen scheint.
Sascha: „Je gereifter man zu fünft und als Personen Konsens findet und den in Textform und Musik packt, desto verletzlicher wird man auch, ganz besonders dann, wenn man besonders persönlich wird, in dem Moment, in dem man das freigibt. Dass jetzt ein Song wie ‚Ich sing nicht mehr‘ ein Gefühl und eine Situation beschreibt, die sich in einem halben Jahr so schnell nicht mehr ändern wird, das ist ein tragischer Umstand, womit leider aber auch zu rechnen war. Deshalb sind die Songs weniger eine Bestandsaufnahme, nach dem Motto: Heute war ein Scheißtag und wenn die Platte rauskommt, ist es hoffentlich schon wieder besser und wir lachen alle drüber. Sondern wir bewegen uns in seltsame Richtungen, in vielen gesellschaftlichen Punkten, bei denen wir auch schon merken, dass es sich so schnell nicht wieder in eine gute Richtung umkehrt.“
Zwischen Ohnmacht und Selbstreflexion
Der angesprochene Song spiegelt ein Ohnmachtsgefühl wieder, welches sich durch aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen einstellt. Ein Gefühl, welches dadurch bestärkt wird, dass trotz eigener Bestrebungen eine stetige Verschlechterung der Gesamtsituation wahrzunehmen ist.
Michi: „Es ist definitiv so, dass wir heute anders Schreiben und Dinge anders verarbeiten, als wir das noch früher gemacht haben. Man kann das wie eine weitere Ebene sehen. Die Veränderungen auf der Welt, derer wir uns bewusst werden, sind wie ein gemeinsamer Nenner auf dem Album. Beispielsweise das Thema Emanzipation, welchem wir uns schon lange bewusst waren, aber vielleicht hat man sich dann doch immer weiterentwickelter gehalten, als man wirklich ist. Dann reflektiert man sich und merkt, dass man als Person, als Gesellschaft noch nicht so weit ist, wie man das gedacht hat.“
Gemeint ist damit der Song „Mann Von Gestern“, in dem die Band das Thema Emanzipation bearbeitet und dabei auch bemerkt, dass sie selbst in Situationen nicht so reagieren, wie sie es sich wünschen würden.
Michi: „Während wir das Album geschrieben haben, ist die ganze Thematik rund um Rammstein öffentlich geworden, was auch innerhalb der Musikbranche zu einem großen Nachdenken geführt hat. Es ist nunmal so. Wir sind weiße Männer, die Veränderung muss bei uns stattfinden. […] Es geht dabei garnicht darum, dass wir hier alles Verklausulieren, oder etwas anzeigen, es geht um das persönliche Verhalten.“
Sascha: „Diese Veränderungen und das Bewusstsein sind ja schon eine Weile spürbar, wir halten das für extrem wichtig. Das heißt aber nicht, dass wir es sofort hinbekommen, dass daraus Musik oder Text entsteht, bei der wir sagen: Da haben wir das Thema auf den Punkt gebracht. Wir verwerfen immer wieder Texte, bei denen wir denken, dass wir noch nicht genug über die Thematik wissen. Beim Thema Gleichstellung sind bei uns als Band aber Emotionen herausgepurzelt, bei denen wir gesagt haben: Ja, genau so wollen wir das sagen. Mit einer sehr persönlichen, sehr ehrlichen Sichtweise.“
Doch wie entwickelt man sich in Fragen der Emanzipation weiter? Wie kann man angeborene, anerzogene oder gesellschaftlich auferlegte Verhaltensmuster bei sich selbst erkennen und im Anschluss verändern? Auf diese Frage hat Sascha eine klare Antwort:
„Möglichst viel Kommunikation. Das ist ganz wichtig. Ich denke ganz persönlich, dass ein ‚Entschuldigung‘, ein ‚Das war doof‘, oder ein ‚Das sehe ich heute anders‘ ganz viel wert sein kann. Das gilt für ganz viele Situationen. So wie man es Kindern beibringt. Es ist nicht schlimm sich zu entschuldigen. Natürlich nur bis zu einer gewissen Grenze, selbstverständlich gibt es Dinge, die nicht einfach zu entschuldigen sind.“
Wer Bock hat, kommt mit!
Es ist wahr, Musik kann das Sprachrohr unterschiedlichster Personengruppen sein. Sie kann einordnen, fordern und informieren. Doch welche Verantwortung haben Künstler:innen in diesem Zusammenhang? Kann man sich von dieser Verantwortung freimachen?
Sascha: „Ich denke, dass das Wort Verantwortung in soweit richtig ist, dass die Dinge, die wir bemerken, die uns auffallen und über die wir sprechen, an denen wollen wir uns auch messen lassen, auch ohne eine konkrete Lösung zu haben. Wir wollen auch anhand dieser Dinge bewertet werden. Für uns persönlich ist das auch die Möglichkeit weiterzukommen, zu schauen, wo es Ansätze gibt und wie man in die Nähe einer Lösung kommen kann. Was uns als Band schon immer schwergefallen ist, ist ein Zeigefinger, daher geht es nicht ohne Reflexion. Nicht ohne die Ehrlichkeit und Offenheit zu sagen, besser oder geiler haben wir es nicht hinbekommen. Unser Ansatz ist zu sagen, dass hier etwas scheiße läuft und von hier aus gehen wir los, wer Bock hat, kommt mit.“
Bei all der Tiefe und der Kritik, der Selbstreflexion und der Ohnmacht, die von „Euphorie Am Abgrund“ ausgeht, findet Michi noch eine weitere wichtige Message, die das neue Alex Mofa Gang-Album mit sich bringt:
„Für uns ist es sehr wichtig, und das gilt im Kleinen, wie im Großen, dass man die andere Hälfte des Titels, die Euphorie, das Positive nicht verlieren darf. Der Haufen Scheiße ist riesengroß und stinkt zum Himmel und wir sitzen mittendrin, aber wir dürfen nicht aufhören zu glauben, dass das gut werden kann. Die kleinen Sachen und die großen Sachen. Egal, wie nah wir am Abgrund stehen, wir dürfen nicht aufhören, an die Demokratie zu glauben, an Toleranz zu glauben, an das Miteinander zu glauben, an das Gute im Menschen zu glauben. Man kann sich verändern und Menschen können sich verändern. Und auch wenn es ausweglos scheint, Argumente können gewinnen und wir dürfen die Euphorie nicht verlieren!“
Und genau mit dieser Schere zwischen all dem aktuellen Pessimismus, Depression und Aussichtslosigkeit sind es euphorische, positive Momente, an denen sich nicht nur die Band, sondern ein jeder hochzieht, um etwas bewirken zu können. Für Alex Mofa Gang sind diese Momente eng mit der Band verbunden, Shows, gemeinsames Musizieren spenden Kraft. Mit dieser Reife und Einsicht liefert die Band eine musikalische Momentaufnahme, die erschreckend gut in die aktuelle Zeit passt, aber auch eine Band repräsentiert, die gereift ist, Erfahrungen gesammelt hat und dennoch ihre eigene Euphorie nicht verloren hat.
Foto: Alex Mofa Gang / Offizielles Pressebild
Latest News
Live-Dates
Feature
Latest