Live
Black MetalFolk
Live bei: Heilung und Zeal & Ardor in München (13.09.24)
Eskapismus at it’s best.
VON
Tamara Jungmann
AM 18/09/2024
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Wenn grüne Tannenzweige die Pfeiler der Location schmücken und sich Besuchende mit Fellen und Geweihen dekorieren, kann man sich sicher sein: Das hier wird anders. Wir waren bei dem unheiligsten Ritual der Metal-Szene dabei und haben uns in doppelter Hinsicht von unseren (musikalischen) Vorurteilen heilen lassen.
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Lisa Bressmer (lisa_brss)
Man könnte fast meinen, dass etwas so besonderes wie Nordic-Ritual-Folk nur die kleine Schnittmenge an leicht esoterisch-angehauchten, extra-truen und Wikinger-begeisterten Metalheads anspricht. Doch weit gefehlt. Am heutigen Abend, passenderweise Freitag, dem 13., versammelt sich im Zenith alles, was in München schwarze Kleidung besitzt. Oder eben ein dickes Fell als Überwurf vorweisen kann. Bereits der Weg zur Location gleicht einem heidnischen Zug von tausenden Besuchern, die an diesem Abend das Konzert von Heilung mit Zeal & Ardor im Vorprogramm komplett ausverkauft haben (wie übrigens fast jedes Konzert der Tour).
Ich glaub, ich steh‘ im Wald
Dass das hier ein Ereignis für alle Sinne wird, verspricht bereits das stimmungshafte Entrée. Die Location, sowie die Bühne sind bereits mit Zweigen und Pflanzen geschmückt, grüner Nebel wabert über die Stage und den Raum erfüllen Vogelgezwitscher und Bachplätschern.
Zu Beginn von Zeal & Ardor sind wir also bereits im spirituellen Dschungel angekommen, der für die nächsten drei Stunden nun auch noch musikalisch um zwei extraterrestrische Erfahrungen bereichert wird.
Zeal & Ardor: psychedelisches Headbangen
Die, nennen wir sie, etwas gemäßigteren Metalheads, die an diesem Abend vor Ort sind, sind sicher wegen ihnen gekommen: dem Schweizer Spiritual-Black Metal-Phänomen Zeal & Ardor. Ehemals als Ein-Mann-Projekt gestartet, ist dies die erste Tournee auf der die Band offiziell als Gruppe in Erscheinung tritt. Gerade erst ist das neue Album von Manuel Gagneux und Co. erschienen. „Greif“ heißt es und wir erleben an diesem Abend sowohl einige neue Tracks davon, als auch die gewohnten Banger „Götterdämmerung“, „Death To The Holy“ und „Devil Is Fine“, welche die gesamte Halle – nicht unbedingt ausrasten, aber laut in Gospel-Manier mitpreisen lässt.
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Lisa Bressmer (lisa_brss)
Lichtspielhaus
Im Gegensatz zu den bluesigen Standardhymnen mit nackenspaltendem Black Metal-Anteil, kommen die neuen eher rockigen Songs wie „Kilonova“ oder „Sugercoated“ sehr viel ruhiger und fast schon sanft beim Publikum an. Die komplette Chause wirkt psychdelisch, sorgt für Gänsehaut und ist in Kombination mit der wahnsinnigen Lightshow, die die Halle in jegliche Farben und von Nebel bis Strobo einmal die komplette Effektleiter hoch und runter jagt, komplett vereinnahmend. In jeder Hinsicht eine Empfehlung, egal ob live oder ob auf Platte.
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Lisa Bressmer (lisa_brss)
Auch in den ganzen 30 Minuten Pause dringt der Klang der Waldgeräusche-CD wieder berauschend durch die Boxen – das einzige, was zum Gesamterlebnis eigentlich noch fehlt sind Räucherstäbchen oder brennender Salbei – auch um den Würstchengeruch des Imbiss in der Halle zu übertünchen.
Heilung: nordische Segnung und geistige Säuberung
Bevor es dann offiziell mit dem „Konzert“ von Heilung losgeht, wird das Backdrop unspektakulär zur Seite geschoben und das großartige Bühnenbild enthüllt: die dezente Buschtundra ist nun zu einer ganzen Dschungellandschaft mutiert, in die ebenfalls einige überdimensionale Trommeln integriert sind. Bereits vorab betreten einige Bandmitglieder die Bühne und weihen diese und das Publikum mit Tannenzweigen unter ersten Jubelrufen.
Noch ohne Musik betreten die restlichen Darsteller die Bühne, um einem ersten gemeinsamen Ritual nachzugehen. Noch den ganzen restlichen Abend über werden diese immer wieder auf die Bühne kommen, um das Trio visuell mit Choreografien zu unterstützen.
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Lisa Bressmer (lisa_brss)
Um halb neun beginnt dann die fast zweieinhalb-stündige Massenheilung: von altertümlichen Gesängen im ursprünglichsten, gutturalen Stil aber auch Klargesängen, vorgetragen von Kai Uwe Faust, Christopher Juul und Maria Franz sowie rhythmischen Trommelschlägen wird das Publikum in Trance versetzt (manchen sieht man das mehr, manchen weniger an; mache reden davon, dass ganze hier nicht nüchtern auszuhalten wäre).
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Lisa Bressmer (lisa_brss)
Das Rundumsorglospaket
Was die ganze Vorstellung noch viel authentischer macht, sind die Kostüme der beiden Protagonisten, die mit großen Geweihen, fransigem Gesichtsschmuck und Gewändern im nordischen Stil auftreten. Auch mit Licht und Nebel wird gespielt, allerdings in einem sehr viel entspannteren Tempo als bei Zeal & Ardor… und endlich sind sie da: Die Räucherstäbchen, die da durch die Reihen gereicht werden!
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Lisa Bressmer (lisa_brss)
Ritual-Wiederholung?
Man muss sagen: die Darbietung von Heilung und ihren Kriegern gleicht sehr viel mehr einem Theaterstück oder einer Opernvorstellung als einem Konzert – und das ist okay. Man muss sich nur drauf einlassen und offen für eine Erfahrung der gaaaanz anderen Art sein. Dennoch. Nach gut einer Stunde ist für den klassischen Metalhead dann doch so langsam die Schmerzgrenze erreicht.
Foto im Auftrag von MoreCore.de: Lisa Bressmer (lisa_brss)
Als klassischer Metalhead muss ich deshalb sagen: Ich muss zugeben, ich bin froh, dass ich meine Heilung nun hinter mich gebracht habe. Die Erfahrung war es wert – muss ich es nochmal sehen? Ich denke nicht. Eine Empfehlung ist dennoch ausgesprochen, denn diese transzendentale Reise sollte jeder Szeneanhänger zumindest einmal angetreten haben – schon alleine um Vorurteil-behaftetes Genre-Denken weiter abzubauen.
Beitragsbild im Auftrag von MoreCore.de: Lisa Bressmer (lisa_brss)
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